Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Landesregierung NRW

Kreisvorstand

„Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in NRW und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie“.

Im Folgenden insbesondere zum

Artikel 1: Gesetz zur Regelung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite und zur Festlegung der Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz (Infektionsschutz- und Befugnisgesetz – IfSBG-NRW),

Abschnitt 2: Epidemische Lage von landesweiter Tragweite,

§ 15: Verpflichtung zum Einsatz medizinischen und pflegerischen Personals.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit geben wir unsere Stellungnahme zum oben genannten Gesetzentwurf der Landesregierung NRW ab.

 

Stellungnahme:

Der Kreisvorstand DIE LINKE. Ennepe-Ruhr lehnt das 

„Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in NRW und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie“  wegen der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz ab.

 

Begründung:

§ 15 in Abschnitt 2 des Entwurfs des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes verstößt gegen Artikel 12 Absatz 2 Grundgesetz und Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz.

 

A. Verstoß gegen Artikel 12 Absatz 2 Grundgesetz

Im Abschnitt 2: Epidemische Lage von landesweiter Tragweite des Artikels 1:

„Gesetz zur Regelung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite und zur Festlegung der Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz (Infektionsschutz- und Befugnisgesetz – IfSBG-NRW)“

wird in § 15 Absatz 1 Satz 1 IfSBG-NRW ausgeführt:

„Die zuständigen Behörden nach § 3 können von Personen, die zur Ausübung der Heilkunde befugt sind oder über eine abgeschlossene Ausbildung in der Pflege, im Rettungsdienst oder in einem anderen Gesundheitsberuf verfügen, die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verlangen, soweit das zur Bewältigung der epidemischen Lage nach § 11 dringen erforderlich und angemessen ist. Die Behörden können jede Person nach Satz 1 unter gleichen Voraussetzungen auch zur Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen an Einrichtungen der medizinischen oder pflegerischen Versorgung zuweisen oder verpflichten.“

(Im Folgenden als NRW-Gesetzentwurf bezeichnet.)

 

I. Artikel 12 Absatz 2 Grundgesetz

Artikel 12 Absatz 2 GG lautet:

„Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“

 

1. Persönliche Betroffenheit:

Die persönliche Betroffenheit wird wie folgt beschrieben: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden“, Artikel 12 Absatz 2 Halbsatz 1 GG.

Mit der Formulierung „Niemand“ wird das Grundrecht in Artikel 12 Absatz 2 GG zu einem Jedermann-Grundrecht. Sowohl Deutsche als auch Personen anderer Nationalität können sich auf dieses Grundrecht berufen.

Folgende Personen werden vom NRW-Gesetzentwurf betroffen sein: „Personen, die zur Ausübung der Heilkunde befugt sind oder über eine abgeschlossene Ausbildung in der Pflege, im Rettungsdienst oder in einem anderen Gesundheitsberuf verfügen“.

Die Personen mit der abgeschlossenen Ausbildung zur Heilkunde oder zur Pflege, im Rettungsdienst oder in einem anderen Gesundheitsberuf gehören zur Personengruppe „Jedermann“, unabhängig von ihrer Nationalität.

Mithin fallen sie unter den persönlichen Schutzbereich von Artikel 12 Absatz 2 GG.

 

2. Sachlicher Anwendungsbereich

Der Schutz vor Zwang zu einer bestimmten Arbeit ist nicht auf eine definierte Arbeit oder Tätigkeit im Artikel 12 Absatz 2 GG eingegrenzt.

Mithin sind die Arbeitsbereiche, die mit einer Ausbildung zur Heilkunde oder zur Pflege, im Rettungsdienst oder in einem anderen Gesundheitsberuf auszuüben sind, von dem sachlichen Anwendungsbereich umfasst.

 

3. Keine Ausnahme durch Dienstleistungspflicht

Artikel 12 GG ist geschaffen worden, um insbesondere die furchtbaren Erfahrungen mit Zwangsarbeit in der Diktatur des deutschen Nationalsozialismus unwiederholbar zu machen. Insofern muss gerade aufgrund dieses Hintergrunds besonders sorgfältig mit Zwangsmaßnahmen umgegangen werden.

In Artikel 12 Absatz 2 Halbsatz 2 GG wird eine Ausnahme zugelassen:

… außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“

Diese Formulierung wird von Jarass 2016 (Quelle: Jarass/ Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 14. Auflage 2016 München) wie folgt ausgelegt:

„Materiell ist eine Pflicht nur zulässig, sofern sie herkömmlich, allgemein und gleich ist. Im Wesentlichen werden davon nur die gemeindlichen Hand- und Spanndienste, die Pflicht zur Deichhilfe und die Feuerwehrdienstpflicht erfasst.“, Jarass 2016, Art. 12, Randnummer 119.

 

a) Herkömmlichkeit
Der Begriff Herkömmlichkeit bedeutet:

„Herkömmlich ist eine Pflicht, die der entstehungsgeschichtlich bedingten Funktion entsprechend ihrer Art nach bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus bestand.“, Jarass 2016, Art. 12, Rn. 119
Weiter führt Jarass aus: „Im Wesentlichen werden davon nur die gemeindlichen Hand- und Spanndienste, die Pflicht zur Deichhilfe und die Feuerwehrdienstpflicht erfasst.“ Jarass 2016, Art. 12 Rn. 119.

 

aa) Pflicht zur Deichhilfe und die Feuerwehrdienstpflicht

Die Pflicht zur Deichhilfe und die Feuerwehrdienstpflicht sind nicht einschlägig für das NRW-Gesetz.

 

bb) Hand- und Spanndienste

Vor dem Nationalsozialismus waren Hand- und Spanndienste im Bereich der Landwirtschaft und der Trockenlegung von Mooren bekannt.

Medizinische Dienstleistungen werden hingegen im folgenden Gesetz über die Kriegsleistungen, veröffentlicht im: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1873, Nr. 15, Seite 129 – 137, angesprochen:

 

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.

I. Kriegsleistungen der Gemeinden.

§. 3.

Dem Reiche gegenüber sind zunächst die Gemeinden zu nachfolgenden Leistungen verpflichtet:

1) Gewährung des Naturalquartiers für die bewaffnete Macht, einschließlich des Heergefolges, sowie der Stallung für die zugehörigen Pferde, beides, soweit Räumlichkeiten hierfür vorhanden sind;

2) Gewährung der Naturalverpflegung für die auf Märschen und in Kantonnirungen befindlichen Theile der bewaffneten Macht, einschließlich des Heergefolges, sowie der Fourage für die zugehörigen Pferde;

3) Ueberlassung der im Gemeindebezirk vorhandenen Transportmittel und Gespanne für militärische Zwecke und Stellung der in der Gemeinde anwesenden Mannschaften zum Dienste als Gespannführer, Wegweiser und Boten, sowie zum Wege-, Eisenbahn- und Brückenbau, zu fortifikatorischen Arbeiten, zu Fluß- und Hafensperren und zu Boots- und Prahmdiensten;

4) Ueberweisung der für den Kriegsbedarf erforderlichen Grundstücke und vorhandenen Gebäude, sowie der im Gemeindebezirke vorhandenen Materialien zur Anlegung von Wegen, Eisenbahnen, Brücken, Lagern, Uebungs- und Bivouaksplätzen, zu fortifikatorischen Anlagen und zu Fluß- und Hafensperren; [130]

5) Gewährung des im Gemeindebezirke vorhandenen Feuerungsmaterials und Lagerstrohs für Lager und Bivouaks, sowie

6) der sonstigen Dienste und Gegenstände, deren Leistung beziehungsweise Lieferung das militärische Interesse ausnahmsweise erforderlich machen könnte, insbesondere von Bewaffnungs- und Ausrüstungsgegenständen, Arznei- und Verbandmitteln, soweit die hierzu erforderlichen Personen und Gegenstände im Gemeindebezirke anwesend und beziehungsweise vorhanden sind.

Link de.wikisource.org/wiki/Gesetz_%C3%BCber_die_Kriegsleistungen

Abgerufen am 4.4.2020

 

In diesem Gesetz werden Dienstleistungen im Bereich der Medizin angeordnet.

Voraussetzung dafür ist das Inkrafttreten des Kriegsfalls.

Mithin handelt es sich nicht um zivile Hand- und Spanndienste, sondern um Kriegsdienste. Der Kriegsfall ist bisher in NRW nicht ausgesprochen worden.

 

Zum Verstehen von Hand- und Spanndiensten erläutert Wikipedia:

„Hand- und Spanndienste, zeitgemäßer auch (verpflichtende) Gemeindedienste genannt, sind Naturaldienste zur Verminderung barer Gemeindeabgaben. Sie verpflichten die Gemeindebürger zu bestimmten körperlichen Arbeiten, die unter dem historischen Begriff Frondienst zusammengefasst werden können. Sie beruhen in Deutschland auf dem Preußischen Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893.“,

Wikipedia, abgerufen am 4.4.2020 Link: de.wikipedia.org/wiki/Hand-_und_Spanndienste

 

Weitere Hinweise finden sich in:

Kommunale Finanzen und Kommunale Wirtschaft, herausgegeben von Hans Peters, Springer-Verlag Berlin, Göttingen, Heidelberg 1959

Dort wird ausgeführt:

„Sie [die Hand- und Spanndienste, Einf. Verf.] sind ein Überbleibsel der alten Frondienste. …Hand- und Spanndienste sind keine Steuern oder Beiträge. Ihr Sinn ist es vielmehr, Steuern zu vermeiden, die sonst erhoben werden müssten, um die in Rede stehenden Arbeiten gegen Bezahlung auszuführen. Die Naturalleistung tritt also an die Stelle einer Geldleistung.“, Hans Peters, 1959, S. 470

Die Landesregierung will insbesondere das Erbringen von Dienstleistungen durch das angesprochene medizinische Personal erzwingen. Entsprechend der obigen Definitionen müsste die Dienstleistung ein Ersatz für sonst anfallende Steuern oder Beiträge sein.

Es sind keine Steuern oder Beiträge in NRW bisher bekannt, die durch Hand- und Spanndienste im Bereich medizinischer Dienstleistungen ersetzt werden könnten.

Mithin ist dieser Bereich der Anwendung der Ausnahmeregelung von Artikel 12 Absatz 2 GG verschlossen.

 

b) Allgemeine Pflicht

„Allgemein ist die Pflicht, die im Bereich des betreffenden Hoheitsträgers jedem auferlegt werden wird, der zur Erfüllung der Pflicht in der Lage ist.“, Jarass 2016, Art. 12, Rn. 119.

Zur Erfüllung einer medizinischen Pflicht im Bereich Krankenhaus oder Sanitätsdienst ist die Ausbildung in einem einschlägigen Beruf die erste Voraussetzung.

Weitere Voraussetzungen müssen dazu kommen. Aufgrund der rasanten Entwicklung des medizinischen Fortschritts ist ein Wissen, das vor 40, 30 oder 10 Jahren erworben wurde, heute nicht mehr einschlägig.

Ohne eine stetige Weiterbildung kann nicht von einer Kompetenz zur Pflichterfüllung ausgegangen werden.

Mithin sind Personen, die lediglich vor Jahrzehnten eine einschlägige Ausbildung absolviert haben und seitdem keine Fortbildungen in diesem Bereich absolviert haben, nicht zur Erfüllung dieser Pflicht in der Lage.
Eine Zwangsverpflichtung dieser Personen kann daher nicht gemäß dem NRW-Gesetzentwurf erfolgen.

 

4. Mangelnde Bestimmtheit der Voraussetzungen des Grundrechtseingriffs

Es bedarf einer hinreichenden Bestimmtheit der Voraussetzungen, unter denen die Grundrechtseinschränkungen erfolgen sollen. Der Gesetzentwurf nennt in § 15 Abs. 1 IfSBG-NRW, dass der Arbeitszwang zur Bewältigung der epidemischen Lage nach § 11 IfSBG-NRW dringend erforderlich und angemessen sein muss. § 11 IfSBG-NRW stellt lediglich auf die Feststellung einer epidemischen Lage ab, stellt jedoch keine konkreten Anforderungen an diese.

Gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 IfSBG-NRW sind die Maßnahmen nur zulässig, wenn die Landesregierung zuvor durch Rechtsverordnung neben der epidemischen Lage einen erheblichen Mangel an medizinischem Personal festgestellt hat. Auch hier fehlt eine Konkretisierung.

Damit bleiben ihre Voraussetzungen und damit auch die Voraussetzungen des Grundrechtseingriffs unbestimmt. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Grundrechtseingriff gemäß § 15 Abs. 1 IfSBG-NRW erforderlich und angemessen sein muss. Denn Grundrechtseingriffe müssen immer verhältnismäßig sein. Weitere Konkretisierungen der Voraussetzungen des Grundrechtseingriffs fehlen.

Damit liegt hier eine Unbestimmtheit der Voraussetzungen des Grundrechtseingriffs vor, der bereits zur Verfassungswidrigkeit von § 15 Abs. 1 IfSBG-NRW führt.

 

d) Fehlende Verhältnismäßigkeit

 

§ 15 Abs. 1 IfSBG-NRW ist auch nicht verhältnismäßig.

 

aa) Fehlende Geeignetheit

Das NRW-Gesetz ist nicht geeignet, durch die Verpflichtung von Personal, das lediglich vor vielen Jahren eine Ausbildung im Bereich Pflege oder Medizin absolviert hat, die medizinische Betreuung und Pflege von Corona-Patient*innen zu verbessern. Die zu verpflichtenden Personen sind berufsfern und fachlich nicht geeignet, schwerstkranke Beatmungspatienten zu betreuen.

Zudem ist bei einer Zwangsverpflichtung keine Loyalität gegenüber den Arbeitgebern und der Tätigkeit zu erwarten. Die Fragen von Schadensersatzpflicht bei Fehlern sind ungeklärt. Die Haftung der Berufsgenossenschaften für ungeschultes Personal wird wegfallen. Mithin werden die Zwangsverpflichteten keine Unterstützung für die Coronakranken darstellen.

 

bb) Fehlende Erforderlichkeit

Das NRW-Gesetz ist zudem nicht erforderlich. Bisher sind alle Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie von der Bevölkerung freiwillig unterstützt worden. Das Zu-Hause-Bleiben wird freiwillig aufgrund von Einsicht in die Notwendigkeit von den Bürger*innen eingehalten.

Es sind bisher keine Versuche der Landesregierung bekannt, medizinisches Fachpersonal anzuwerben.

Die Solidarität in NRW ist groß, wie bei vielen Hilfsaktionen in diesen Tagen zu sehen ist.

Einen Aufruf an medizinisch ausgebildetes Personal, auch in Pflegeheimen und Krankenhäusern zu helfen und diese Tätigkeiten auch mindestens tarifgerecht zu vergüten, ist von der Landesregierung nicht gestartet worden. Dies stellt ein milderes Mittel zur Erreichung des Ziels dar.

Weitere Möglichkeiten, medizinisches Personal ggfs. aus dem europäischen Ausland anzuwerben, sind durch die Schließung der deutschen Außengrenzen faktisch verhindert worden. Auch hier gibt es weiteres Handlungspotential der Landesregierung, Sonderregeln für NRW zu erreichen.

Ob überhaupt weiteres Personal in Krankenhäusern notwendig ist, wird nicht betrachtet. In diesen Tagen überlegen Krankenhäuser Kurzarbeit anzumelden, weil durch die Operationseinschränkungen zu wenige Patienten aufgenommen werden.

Als Maßstab für die Erforderlichkeit von Maßnahmen sind die Bestimmungen des nordrhein-westfälischen Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) anzusehen. Dieses setzt für eine Dienstpflicht auf Freiwilligkeit.

Eine Voraussetzung für die Hilfe privater Hilfsorganisationen bei Unglücksfällen und öffentlichen Notständen, Großeinsatzlagen und Katastrophen ist gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 BHKG ihre Erklärung der Bereitschaft zur Mithilfe. Ohne diese freiwillige Erklärung können die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der anerkannten Hilfsorganisationen nicht gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 BHKG zur Teilnahme am Einsatzdienst verpflichtet werden. Hier entscheiden also die betroffenen Personen selbst, ob sie ehrenamtlich für eine anerkannten Hilfsorganisation tätig sein wollen und die Hilfsorganisation entscheidet selbst, ob sie eine Mithilfe leisten will.

Dieses Prinzip der Freiwilligkeit hat sich in NRW bewährt und ist in der Lage, Katastrophen zu bewältigen. Die freiwillige Hilfeleistung bzw. Teilnahme an Diensten ist als gleich geeignetes, milderes Mittel anzusehen.

Aus all diesem ergibt sich, dass § 15 Abs. 1 IfSBG-NRW nicht erforderlich ist.

 

cc) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne

§ 15 im Abschnitt 2 des NRW-Gesetzes ist auch nicht im engeren Sinne verhältnismäßig.

Das Ziel des Gesetzes ist es, in Zeiten der Corona-Pandemie Corona-Patienten zu pflegen. Anlass sei eine epidemiologische Notlage, die nicht näher definiert ist.

Es wird in die Handlungsfreiheit einer Personengruppe eingegriffen. Sie werden zum Dienst gezwungen. Mit diesem Dienst gefährden sie ihr Leben und ihre Gesundheit, um ohne ausreichende Kenntnisse und ohne ausreichenden Schutz Corona-Patient*innen zu versorgen.

Aufgrund des Mangels an aktuellen Kenntnissen des medizinischen und pflegerischen Wissens und aufgrund der fehlenden beruflichen Praxis in den angeforderten Berufen sind die verpflichteten Personen gefährdet, sich in den Krankenhäusern und Pflegeheimen mit allen dort vorhandenen Krankheiten anzustecken.

Aufgrund des Fehlens von Schutzmasken, Schutzkleidung, Handschuhen und Schutzbrillen sowie von Desinfektionsmitteln ist die Übertragung von Keimen aller Art höchstwahrscheinlich. Die Ansteckungsgefahr gerade aufgrund des Corona-Virus ist extrem hoch. Die Sterblichkeit auch des medizinischen Personals ist bei dieser Erkrankung sehr hoch, wie die Zahlen aus Italien und Spanien zeigen.

Eine Gefährdung für Leib und Leben für das zwangsweise einberufene medizinische Personal, das aufgrund fehlenden Wissens, fehlender Routine und fehlender Motivation mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst eine Belastung für die Versorgung von Patienten darstellen wird, ist nicht verhältnismäßig.

Es wird hier das Leben der zwangsweise rekrutierten Mediziner und Krankenschwestern in das Verhältnis zu den Leben der Corona-Infizierten gesetzt.

Diese Entscheidung steht keinem Gesetzgeber in unserem Staat zu.

Mithin ist die Verhältnismäßigkeit auch im engeren Sinne nicht gegeben.

 

5. Schlussfolgerung:

Der NRW-Gesetzentwurf verstößt gegen Art. 12 Absatz 2 GG. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung zum Verbot des Arbeitszwangs gemäß Art. 12 Absatz 2 GG ist nicht gegeben.

Die Voraussetzungen für die Ausnahme liegen nicht vor.

Die Pflicht zur Dienstleistung des Medizinpersonals ist nicht herkömmlich. Eine vergleichbare Pflicht bestand nicht vor dem Nationalsozialismus.

Sie ist nicht allgemein. Die verpflichteten Bürger*innen sind nicht in der Lage die Pflicht zu erfüllen, da sie nicht über die erforderlichen Kenntnisse verfügen. Sie werden daher sich selbst und die Patient*innen lebensgefährlich gefährden.

Das Gesetz bestimmt die Voraussetzungen des Eingriffs in das Grundrecht des Art. 12 Absatz 2 GG nicht hinreichend.

Das NRW-Gesetz ist zudem nicht verhältnismäßig.

 

B. Verstoß gegen Artikel 2 Grundgesetz

Die mit dem NRW-Gesetz vorgesehenen erzwungenen Dienstleistungen von Personen mit einer medizinischen Ausbildung verstoßen auch gegen Artikel 2 Absatz 2 GG.

 

Artikel 2 Absatz 2 GG lautet:

„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person in unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“

Als Jedermann-Grundrecht gehören die oben angesprochenen Personen mit medizinischer Ausbildung zu den persönlich Betroffenen von Artikel 2 GG.

Das NRW-Gesetz selbst ist nicht verfassungsgemäß, wie oben bereits ausgeführt wurde.

Mithin kann mit dem NRW-Gesetz kein Eingriff in Artikel 2 Absatz 2 GG legitimiert werden.

 

Resümee:

Die obigen Ausführungen zeigen, dass § 15 in Abschnitt 2 des Entwurfs des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes gegen Artikel 12 Absatz 2 Grundgesetz und Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz verstößt.

Die Landesregierung versucht mit diesem Vorstoß, die gelebte Demokratie in NRW In Richtung eines autoritären Staates zu verändern.

Eine Pandemie darf nicht zum Abbau demokratischer Rechte führen.

Gerade in Zeiten der Krise müssen neue Formen von Solidarität, Miteinander und Sich-Umeinander-Kümmern geübt werden.

Die Bevölkerung ist stark motiviert, gemeinsam die Krise zu meistern.

Die Regierung in NRW sollte nicht versuchen, uns wieder zu Untertanen zu machen.

 

Mit verfassungsfreundlichen Grüßen

Helmut Kanand                               Ulla Weiß

(Sprecherteam Kreisvorstand DIE LINKE. Ennepe-Ruhr-Kreis)