Die Linke Fraktion Witten: Reden/Haushaltsreden

Rede zum Haushalt 2022

Linksfraktion

(Fraktionsvorsitzende Ursula Weiß) Es gilt das gesprochene Wort

Corona-Kosten werden versteckt; Personal wird weiter ausgedünnt und der Klimawandel nicht konsequent bekämpft:
LINKE lehnt Wittener Haushalt 2022 ab

 

Haushaltsrede von Ulla Weiß, Fraktionsvorsitzende DIE LINKE. im Rat der Stadt Witten vom 6.12.2021 – zu Protokoll gegeben

 

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

vor fast einem Jahr wurde der Wittener Haushalt 2021 mitten in der Corona-Pandemie verabschiedet. Nun entscheiden wir über den Haushaltsplan 2022. Wir sind immer noch in der Pandemie, jetzt in der vierten Welle. Und es droht eine fünfte Welle. Es hat sich viel verändert – leider nicht zum Positiven.

 

Die Inzidenzwerte sind in astronomische Höhen gestiegen. Die Zahl der Toten pro Tag beträgt bundesweit mehrere Hundert. Die Intensivstationen in Deutschland laufen über.

 

Wir erleben ein bisher nie gekanntes Politikerversagen. Die geschäftsführende Bundesregierung aus CDU und SPD agierte in der vierten Pandemiewelle, als hätten sie keine Erfahrungen mit den ersten drei Wellen gemacht.

 

Und die neue Ampelkoalition hatte nichts Besseres zu tun, als den Ländern als Erstes Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu entziehen. Währenddessen tauchte der designierte Kanzler Olaf Scholz weitgehend ab. Es scheint, als ob er stattdessen Christian Lindner von der FDP faktisch die Richtlinienkompetenz dazu überlassen hat. Wochenlang konnte Lindner sein falsch verstandenes Freiheitsverständnis bezüglich der Pandemie verbreiten.

 

Neue Bundesregierung lässt Coronaviren zu viel „Freiheit“

 

Die von der Bund/Länderkonferenz am letzten Donnerstag verkündeten Maßnahmen kommen zu spät und sind nicht durchgreifend genug. Virolog*innen, Intensivmediziner*innen und Modellierer+innen bringen es auf den Punkt: Wir brauchen einen generellen Lockdown, um Menschenleben zu retten und die vierte Welle zu brechen.

 

Die derzeitigen unzureichenden Maßnahmen kosten Menschenleben. Sie führen zu wirtschaftlichen Schäden und in der Folge zu einem weiteren Einbruch der Kommunalfinanzen.

 

Corona belastet Wittens Haushalt zusätzlich mit fast 20 Mio. €

 

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind deutlich im Wittener Haushalt zu sehen. Einen Haushaltsentwurf 2022 mit übergroßem Defizit durch die dadurch entstandenen Mindererträge und zusätzlichen Ausgaben kann die Stadt Witten nur auf Grund eines haushälterischen Tricks entgehen. Denn die Corona-bedingten Defizite können aufgrund des NKF-COVID-19-Isolierungsgesetzes NRW aus dem Ergebnisplan formal „ausgebucht“ werden. Im Jahr 2021 wurde hierfür 33.195.206 Euro veranschlagt und in ein eigenes Produkt integriert. Für das Jahr 2022 werden 19.777.843 Euro prognostiziert. Durch das „Ausbuchen“ besitzt der Ergebnisplan ein leicht positives Ergebnis. Doch die zusätzlichen Schulden von fast 53 Millionen Euro sind nicht verschwunden. Sie müssen mühsam über 50 Jahre abgeschrieben werden. Bund und Land treiben die Kommunen in der Pandemie immer weiter in die Schuldenfalle.

 

DIE LINKE fordert nach wie vor: Die zusätzlichen Kosten für die Kommune durch die Coronapandemie müssen jetzt von Bund und Land übernommen werden!

 

 

Land und Bund müssen die Kommunen entschulden und finanziell unterstützen!

 

Auch ohne die Pandemie kann Witten sich nicht mehr selbst entschulden. Deshalb fordern wir die Übernahme der (Alt-)Schulden durch den Bund. Doch der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und SPD stimmt nicht optimistisch. Er bleibt in seinem Kapitel „Bund-Länder-Kommunalfinanzen“ vage und lässt keine konsequente Entschuldung der Kommunen durch Mittel des Bundes bzw. des Landes erwarten.

 

 

Dabei könnten die notwendigen Mittel zur Entschuldung durch die Einführung einer Vermögenssteuer eingenommen werden. Die SPD hat sich in ihrem Bundestagswahlprogramm dazu bekannt, die Vermögenssteuer wieder in Kraft zu setzen. Auch Bündnis 90/Die Grünen haben sich in ihrem Bundestagswahlprogramm zu einer stärkeren Besteuerung großer Vermögen bekannt. Im Koalitionsvertrag ist die Vermögenssteuer hingegen unauffindbar. Dies ist angesichts der Finanzmisere der Kommunen unverantwortlich.

 

Witten muss selbst Druck machen, damit es zur Sanierung der Kommunalfinanzen kommt. Dazu stellen wir den Antrag, dass sich die Stadt Witten auf Bundes- und Landesebene dafür einsetzt, eine Steuer auf große Vermögen einzuführen.

 

Immer weiter bürden Land und Bund den Kommunen Aufgaben auf, deren Kosten nicht vollständig erstattet werden. Um einen Überblick über die unvollständige Refinanzierung von übertragenen Aufgaben zu erhalten, beantragt DIE LINKE einen jährlichen Konnexitätsbericht. So hat Witten auch eine bessere Argumentationslage gegenüber Land und Bund.

 

 

Prüfung der Einstellung von Gewerbesteuerprüfer*innen

 

Um die Einnahmeseite der Stadt Witten zu verbessern, beantragen wir, die Einstellung eines Gewerbesteuerprüfers zu prüfen. Gewerbesteuerprüfungen erfolgen durch das zuständige Finanzamt. Aktuell erfolgen die Betriebsprüfungen in einem Zyklus von ca. 13 Jahren. Steueransprüche verjähren aber grundsätzlich nach vier Jahren. Mögliche Steuerschulden sind so für viele Jahre nicht eintreibbar. Um dies zu verhindern, können Einnahmen grundsätzlich durch den Einsatz kommunaler Gewerbesteuerprüfer*innen gesteigert werden. So sind die Gemeinden berechtigt, durch Gewerbebedienstete an Außenprüfungen der Steuerpflichtigen teilzunehmen. Eine solche Teilnahme an den Prüfungen entlastet und unterstützt die Beschäftigten der Finanzämter, erhöht die Gewerbesteuereinnahmen und führt zu einer größeren Steuergerechtigkeit. Die bisherigen Erfahrungen anderer Städte zeigen Mehreinnahmen von mehreren 100.000 € bis zu über einer Million Euro.

 

Eine Verbesserung der Einnahmeseite darf allerdings nicht dadurch erreicht werden, dass Entwässerungsgebühren mit Hilfe kalkulatorischer Zinsen überhöht angesetzt werden und dadurch eine Summe von mehreren Millionen Euro von den Städtischen Entwässerungsbetrieben in den allgemeinen Haushalt fließt. Wir wollen, dass diese Praxis beendet wird und das Geld der Gebührenzahler stattdessen sachbezogen zur Sanierung der Abwasserkanäle verwendet wird.

 

 

Ausreichend Personal für die vielen Aufgaben in der Stadtverwaltung einstellen

 

Mehr als irritierend ist die Personalpolitik der Stadt.

 

Der Personalrat kritisiert in seiner Stellungnahme, dass die Personalbesetzung nicht ausreichend ist. „…die Belastbarkeitsgrenze der Kolleginnen und Kollegen ist in den meisten Bereichen nicht nur erreicht, sondern bereits überschritten.“ Hier müsste mehr Geld eingesetzt werden, um eine Entlastung zu erreichen.

 

Ein Beispiel: Auf der einen Seite setzt die Stadt Witten weiter auf die Fremdvergabe von Reinigungsleistungen statt die Reinigungskräfte selbst anzustellen. Sie verweigert damit denjenigen, die uns mit der Durchführung von hygienisch einwandfreier Reinigung der Diensträume, Schulen und Kitas optimal durch die Corona-Zeit bringen sollen, gute und sichere Arbeitsplätze. Zudem sieht das Haushaltssicherungskonzept eine Kürzung um 10 % der Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen sowie für Personalaufwendungen im Produkt 01 12 01 „Reinigungsdienste“ vor. Damit wird der Druck auf die Reinigungskräfte durch Arbeitsverdichtung weiter verstärkt. Beides lehnen wir ab und stellen einen entsprechenden Änderungsantrag.

 

Auf der anderen Seite soll laut dem Stellenplan 2022 eine neue Stelle im Dezernat 1, für das der Bürgermeister verantwortlich ist, eingerichtet werden. Die hoch dotierte Stelle kostet die die Stadt jährlich ca. 72.000 Euro oder mehr. Diese neue Stelle passt nicht zur selbst erklärten Politik des Kämmerers, den Personalaufwand zu begrenzen und im Stellenplan viele Personalbereiche zur Kürzung von 10 % vorzuschlagen. DIE LINKE beantragt daher die Streichung dieser Stelle.

 

Der städtische Haushalt dient nicht lediglich der Darstellung von Einnahmen und Ausgaben. Er soll im Rahmen des Neuen Kommunalen Finanzmanagements auch Ziele, Kennzahlen und Messzahlen enthalten. Auch der vom 28.9.2019 datierte Erlass des für Kommunales zuständigen Landesministeriums sieht ausdrücklich die aussagekräftige Darstellung von bedeutsamen Produkten mit Hilfe von Zielen und Kennzahlen vor. Damit soll eine Steuerung der Politikfelder über den Haushalt erreicht werden. Der Wittener Haushalt genügt seit Jahren nicht diesen Anforderungen. Er enthält lediglich vage Produktbeschreibungen. Im Vergleich zum letzten Haushalt ist sogar die Darstellung der Konten verschwunden. Damit ist der Haushaltsentwurf 2022 völlig unlesbar geworden. Unsere Nachfrage zur Ergänzung der Erläuterungen im Produkt 160101 mit konkreten Summen wurde abschlägig entschieden. So wird das wichtigste Produkt im Haushalt, die gesamten Stadtfinanzen, zur Blackbox der Verwaltung.

 

 

Mit Zielen und Kennzahlen mehr nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutz erreichen

 

Besonders wichtig ist eine Steuerung beim Umwelt- und Klimaschutz.

 

Je mehr Bäume in der Stadt, desto mehr Kohlenstoff wird gebunden. Dies nutzt dem Klimaschutz. Die Verbesserung des Mikroklimas durch Bäume trägt zudem zur Kühlung in einer immer mehr aufgeheizten Stadt bei. Deshalb beantragen wir die Ergänzung des Produkts 130101 um den Aspekt „Konsequenter Baumschutz“. Neben einer Anforderung an eine detaillierte Erfassung des Baumbestandes in Form von Kennzahlen soll das Ziel „Erhalt und Ausbau des Wittener Baumbestandes“ aufgenommen werden.

 

Für den Klimaschutz, den Artenschutz und eine ausreichende Versickerungsmöglichkeit bei Starkregenfällen ist ein wirksamer Freiraumschutz unerlässlich. Deshalb wollen wir, dass im Produkt 140101 das Ziel aufgenommen wird, dass eine zukünftige Versiegelung nur erfolgen darf, wenn im gleichen Umfang entsiegelt wird (Netto-Null).

 

Für den Klimaschutz ist die Verkehrswende von zentraler Bedeutung. Deshalb beantragen wir das Produkt 120101 mit detaillierten Kennzahlen und Zielen zu versehen. Dazu gehört auch das Ziel „Rückbau des Straßennetzes aus ökologischen Gründen“.

 

Klimaschutz muss auch durch den Ausstieg aus umweltschädlichen Geldanlagen erfolgen. Kein Konzern in ganz Europa trägt mehr Verantwortung für die Klimakrise als RWE. RWE setzt weiterauf Braunkohleverstromung und das Abbaggern ganzer Ortschaften im rheinischen Braunkohlerevier. Obwohl das Ende des Betriebs aller Kohlekraftwerke bis 2030 notwendig ist, um das 1,5-Grad-Klimaziel einzuhalten, will RWE drei Braunkohleblöcke der 1.000 MW-Klasse bis 2038 betreiben. Daher beantragen wir, dass die Stadt Witten darauf hinwirkt, dass die in den Stadtwerken gehaltenen über 30.000 RWE-Aktien in 2021/2022 veräußert werden.

 

Gefahr droht unserer Gesellschaft nicht nur durch die Corona-Pandemie und die Klimakrise. Bedroht wird unsere Demokratie zunehmend auch durch Rechtsextreme und Rechtspopulisten. Deshalb ist es unerlässlich, sich der eigenen Vergangenheit bewusst zu sein und sie nicht zu verdrängen oder zu verschweigen. Daher beantragen wir, 5.000 € für die Publikation über „Zwangsarbeit in Witten in während der Zeit des Nationalsozialismus“ in den Haushalt einzustellen. Das Skript ist im Stadtarchiv vorhanden und würde vom Autor kostenlos aktualisiert.

 

Fazit: Der Haushaltsentwurf 2022 wird den Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht. Das betrifft insbesondere die Bereiche Umwelt- und Klimaschutz. Zudem besitzt er eine soziale Schieflage im Bereich des Personals. Die bereits seit Jahren bestehenden methodischen Mängel des Haushalts bestehen weiter fort. Die Vorgaben der Kommunal-Haushaltsverordnung NRW zu Zielen und Kennzahlen werden weiter ignoriert.

 

In dieser Form lehnt DIE LINKE. im Rat der Stadt Witten den Haushaltsentwurf 2022 ab.

 

Ulla Weiß,

Fraktionsvorsitzende DIE LINKE. im Rat der Stadt Witten

 

Link zu den Haushaltsanträgen von DIE LINKE. auf ihrer Homepage:

https://www.dielinke-en.de/fraktionen/witten/haushaltsantraege/antraege-zum-haushalt-2022/


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