TOP 11 der Sitzung des Rates am 28.11.2016::

DIE LINKE. Fraktion Witten

Luftreinhalteplan Witten, Antrag DIE LINKE:

Stickoxidimmissionen realistisch prognostizieren, wirksame Reduktionsmaßnahmen durchführen

Sehr geehrte Frau Leidemann,

die Fraktion DIE LINKE im Rat der Stadt Witten beantragt:

I. Die Stadt Witten weist den Entwurf des Luftreinhalteplans Witten zurück. Die zugrunde liegende Prognose beruht auf zu optimistischen Annahmen. Die aufgeführten Maßnahmen sind nicht hinreichend, um eine Unterschreitung des Stickoxidgrenzwertes von 40 µg/m³ (Jahresmittelwertes) sicherzustellen. Die Stadt Witten teilt dies der Bezirksregierung Arnsberg innerhalb der Frist mit, in der Stellungnahmen zum Luftreinhalteplan abgegeben werden können.

II. Die Ruhrstraße wird im Abschnitt zwischen der Kreuzung „Ruhrstraße – Bergerstraße - Husemannstraße“ und der Kreuzung „Ruhrstraße – Bahnhofstraße – Hauptstraße – Johnannisstraße“ zur Fußgängerzone umgestaltet. Der Anlieferverkehr für die Gewerbetreibenden der Ruhrstraße und die Busse des Öffentlichen Personennahverkehrs sollen die Ruhrstraße weiter befahren können. Es ist ein Konzept zu entwickeln und umzusetzen, um potentielle Belastungen der Anwohner in der Umgebung des veränderten Straßenabschnitts so weit wie möglich zu reduzieren.

III. Die Verwaltung wird beauftragt, bis zur nächsten Sitzung des Rates den Entwurf einer Festbrennstoffverordnung für Witten vorzulegen, der die Anforderungen der 1. BImSchV (Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen) ergänzt. Hierbei sind insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen

- Erweiterung des Anwendungsbereichs auf „Feuerungsanlagen für feste Brennstoffe“

- Verkürzung der Übergangsfristen der 1. BImSchV

- Zeitlich unbefristeter Ausschluss des Einsatzes von einzelnen in § 3 Abs. 1 der 1. BImSchV aufgeführten Brennstoffe für Feuerungsanlagen für feste Brennstoffe bzw. abschließende Aufzählung zulässiger Brennstoffe

- Herabsetzung der Grenzwerte für Staub (von 0,15 g/m³ auf 0,075 g/m³ ) und Kohlenmonoxid (von 4 g/m³ auf 2 g/m³)

- Aufnahme eines Grenzwertes für Stickoxide (< 200 mg/m3)

Die Umsetzung der Anforderungen der Festbrennstoffverordnung wird durch eine gesteigerte Öffentlichkeitsarbeit zum Thema „Richtiges Heizen“ begleitet.

IV. Die Verwaltung beobachtet immissionsschutzrechtliche Verfahren, in denen sie als Träger öffentlicher Belange beteiligt ist oder die öffentlich bekanntgemacht werden und für die die Möglichkeit besteht, Einwendungen gegenüber der zuständigen Behörde abzugeben. Die Verwaltung gibt eine negative Stellungnahme bzw. eine ablehnende Einwendung ab, wenn das Vorhaben eine negative Auswirkung auf die Hintergrundbelastung bzgl. der Stickoxid-Konzentration in Witten haben kann.

V. Die Stadt Witten wirkt auf die Bezirksregierung Arnsberg ein um zu erreichen, dass die Wittener Industrie zusätzliche Maßnahmen zur Reduzierung ihrer Emissionen ergreifen muss.

VI. Durch geeignete Pflanzungen, beispielsweise von Bäumen oder Neueinrichtung von Grünflächen im Umfeld der Ruhrstraße soll deren Filterfunktion genutzt werden, um zur Immissionsreduzierung beizutragen.

Begründung:

Die Belastung der Ruhstraße im oben beschriebenen Straßenabschnitt überschreitet seit dem Jahr 2008 den ab 1.1.2010 gültigen Immissionsgrenzwert der EU-Richtlinie 2008/50/EG und § 3 Abs. 2 der 39. BImSchV für Stickstoffdioxid von 40 µg/m3 (Jahresmittelwert).

Stickstoffdioxid schädigt die menschliche Gesundheit nachhaltig. Die Erhöhung der Stickstoffdioxid-Konzentration in der Außenluft beeinträchtigt die Lungenfunktion, erhöht die Häufigkeit von Atemwegserkrankungen wie Husten oder Bronchitis sowie von Herz-Kreislauferkrankungen und führt zu einer Zunahme der Sterblichkeit. Es existiert kein Schwellenwert, bei dessen Unterschreitung langfristige schädliche Wirkungen auf den Menschen ausgeschlossen werden können.

Aus diesem Grund wurde von der Bezirksregierung Arnsberg der Luftreinhalteplan Witten 2010 aufgestellt, welcher insbesondere von der Stadt Witten vorgeschlagene Maßnahmen beinhaltete, um die Immissionsbelastung bis zum Jahr 2015 auf einen Wert unterhalb des Immissionsgrenzwertes von 40 µg/m3 zu reduzieren. Es hat sich gezeigt, dass diese Maßnahmen, die primär niederschwelliger Art waren, keine grundsätzliche Veränderung der Immissionssituation bewirkt haben.

Der erste Luftreinhalteplan Wittens in der bisherigen Form ist damit gescheitert, seine Prognosen haben sich als unrealistisch erwiesen.

So sagte das von der Bezirksregierung verwendete Modell der Immissionsprognose für 2010 selbst ohne die Berücksichtigung jeglicher Reduktionsmaßnahmen einen Immissionswert von ca. 43 µg/m3 voraus. Tatsächlich wurden 52 µg/m3 gemessen, d.h. ca. 9 µg/m3 mehr. Im Jahr 2011 wurde eine Immissionsbelastung von 48 µg/m3 gemessen, obwohl die meisten Reduktionmaßnahmen bereits erfolgt waren - immer noch ca. 5 µg/m3 mehr als der Prognosewert von 43 µg/m3. Im Entwurf des zweiten Luftreinhalteplans 2016 heißt es (S. 13): „Der Trend einer abnehmenden NO2-Belastung an der Messstelle in Witten ist bis einschließlich dem Jahr 2014 nicht zu erkennen. Die Jahresmittel bewegen sich im Bereich um 50 µg/m3.“ Damit wird die Fehlkalkulation der Immissionsbelastung deutlich, die sich aufgrund der systematischen Unterschätzung der Immissionen ergibt.

Diese Unterschätzung setzt sich im Entwurf des Luftreinhalteplans 2016 fort. Im Jahr 2015 betrug die Immissionsbelastung 42 µg/m3 und überschritt den Immissionsgrenzwert von 40 µg/m3, obwohl „das Jahr 2015 meteorologisch ein sehr gutes Jahr war“ (Luftreinhalteplan S.33). Damit sind die Werte im Bereich um 50 µg/m3 als charakteristisch anzusehen und zur Grundlage von Minderungsmaßnahmen zu machen, und nicht der Ausnahmewert von 2015. Trotzdem wurde pauschal eine dauerhafte Minderung von 9 µg/m3 (Differenz Immissionsbelastung 2013 – 2015) in die Wirkungsbetrachtung der Maßnahmenstufe I für das Messjahr 2019 (S. 64 des Luftreinhalteplans) aufgenommen.

Die Wirkung der Immissionsminderungsmaßnahmen beträgt zwischen 1,0 µg/m3 und 2,5 µg/m3. Dabei ist nicht dargelegt, wie diese quantitativen Ergebnisse zustande kommen und mit welchen Unsicherheiten ihre Prognose behaftet ist. Damit besitzen sie praktisch keine Aussagekraft.

Selbst wenn das Jahr 2015 und die Wirkungsangabe der Maßnahmen zur Grundlage genommen werden, beträgt der erwartete Immissionsgrenzwert nicht 37,5 µg/m3 - 39,5 µg/m3

(wie im Luftreinhalteplan angegeben), sondern 37,5 µg/m3 – 41,0 µg/m3 (wie sich durch direktes Nachrechnen ergibt). Damit ist die Einhaltung des Immissionsgrenzwertes von 40 µg/m3 nicht sichergestellt und unwahrscheinlich.

Daher sind wesentlich tiefergreifende Maßnahmen zur Immissionsreduzierung als im Luftreinhalteplan vorgesehen, erforderlich.

Um eine sichere Unterschreitung des Immissionsgrenzwertes zu gewährleisten, sind einschneidende Verkehrsbeschränkungen erforderlich. Eine solche Maßnahme stellt die Umgestaltung der Ruhrstraße im Abschnitt zwischen der Kreuzung „Ruhrstraße – Bergerstraße - Husemannstraße“ und der Kreuzung „Ruhrstraße – Bahnhofstraße – Hauptstraße – Johnannisstraße“ zur Fußgängerzone dar. Diese Änderung des Charakters der Ruhrstraße ist in ein Verkehrskonzept einzubinden, welches die Bevölkerung in der Umgebung des Abschnitts der Ruhrstraße soweit wie möglich vor zukünftigen Verkehrsverlagerungseffekten schützt. Zu berücksichtigen ist zudem, dass im Interesse einer lebendigen Stadt der Anlieferverkehr für die Geschäftsleute ermöglicht wird und der ÖPNV weiterhin Zugang zu diesem Straßenabschnitt hat.

Eine weitere Maßnahme der Kommune zur Immissionsreduzierung stellt die Einführung einer

kommunalen Festbrennstoffverordnung dar.

§ 5 Abs. 1 LImSchG NRW ermöglicht es Gemeinden, durch ordnungsbehördliche Verordnungen, insbesondere Festbrennstoffverordnungen, zu regeln, dass

a) bestimmte Anlagen nicht oder nur beschränkt betrieben werden dürfen,

b) bestimmte Brennstoffe allgemein oder zu bestimmten Zwecken nicht verbrannt werden dürfen oder

c) bestimmte Tätigkeiten nicht oder nur beschränkt ausgeübt werden dürfen,

soweit und solange das zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen geboten ist.

Dabei ist die Gemeinde nicht gehindert, Maßnahmen zu ergreifen, wenn noch keine Grenzwertüberschreitungen vorliegen. Sie kann nicht nur zur Gefahrenabwehr im eigenen Gemeindegebiet, sondern auch aus Gründen der Vorsorge im Gemeindesgebiet oder zur Abwehr von Gefahren, die von ihrem Gemeindegebiet ausgehen, sich aber in einer anderen Gemeinde realisieren, tätig werden. In Übereinstimmung hiermit würde auch die Bezirksregierung Arnsberg die Verabschiedung einer Festbrennstoffverordnung begrüßen. Hierzu hat die Bezirksregierung praktische inhaltliche Vorschläge unterbreitet.

Eine explizite und klar ermittelte Gefahrenlage liegt in Witten bzgl. der Stickoxid-Immissionskonzentrationen in der Ruhrstraße vor. Dort werden die zulässigen Jahresmittelwerte seit Jahren überschritten, ohne dass der bisherige Luftreinhalteplan Erfolge aufweist. Angesichts dieser Situation ist die Stadt Witten gefordert, weitergehende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu ergreifen.

Mit der Einführung eines Grenzwertes für Stickoxid-Emissionen kann der Wittener Beitrag zur Immissionsbelastung in der Ruhrstraße gesenkt werden, insbesondere durch eine Reduktion des Eintrags von Stickoxiden von außerhalb der Ruhrstraße (städtischer Beitrag zur lokal verursachten Hintergrundbelastung).

Einen wesentlichen Anteil zur Immissionsbelastung in der Ruhrstraße leistet die Hintergrundbelastung. Trotzdem sind seitens der Verwaltung bisher keine Schritte unternommen worden, die Errichtung und den Betrieb von Großemittenten in der Umgebung Wittens, die zur Hintergrundbelastung beitragen, zu unterbinden. So hat die Stadt Witten beispielsweise zur Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb des Steinkohlekraftwerkes Datteln 4 gem. § 4 BImSchG im Jahr 2015 keine Einwendung abgegeben. Hier muss die Stadt Witten zukünftig eine aktivere Rolle spielen, um die Immissionsbelastung in Witten zu reduzieren.

Der Luftreinhalteplan weist für die Gesamtjahresemissionen für NOx für Witten einen Wert von 549,3 t/a aus, davon fallen auf Industrieanlagen 144,7 t/a (26,3 %) und auf Kleinfeuerungsanlagen 74,6 t/a (13,6 %), (Luftreinhalteplan S. 29). Industrielle und gewerbliche Quellen tragen daher relevant zu den NOx–Emissionen in Witten bei. Die Industrie trägt dabei mit 3% zu der Immissionsbelastung in der Ruhrstraße bei, hinzu kommt ein nicht quantifizierter Beitrag am regionalen Hintergrund. Zur Reduzierung müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, z.B. durch nachträgliche Anordnungen gemäß § 17 BImSchG (Bundes-Immissionsschutzgesetz), die u.a. von der Bezirksregierung erlassen werden müssen. Damit dies geschieht, muss die Stadt Witten geeignete Schritte ergreifen.

Eine der im Luftreinhalteplan aufgeführten Maßnahmen (M 24) stellt die Berücksichtigung der Luftreinhalteplanung in der Bauleitplanung dar, ohne dies hinreichend zu konkretisieren. Dies berücksichtigt nicht die immissionsreduzierende Wirkung geeigneter Pflanzungen und Grüngestaltungen der Uhrstraße und ihrer Umgebung. Daher ist dieser Aspekt entsprechend zu ergänzen.

Mit freundlichen Grüßen

Ulla Weiß 

(Fraktionsvorsitzende)

Oliver Kalusch

(Fraktionsmitglied)